Meine Heldinnen-Reise nach Mariazell (Teil 4/7)
Regel Nr. 1: wir entscheiden immer beim Frühstück, wie es weiter geht. Ich finde es jeden Tag aufs Neue faszinierend, wie sich mein großartiger Körper über Nacht regeneriert. Dafür bin ich ausgesprochen dankbar! So kaputt ich am Vorabend auch war, Aufgeben ist keine Option! Die Heldinnenreise nach Mariazell geht weiter!
Tagesziel
von Rohr im Gebirge nach St. Aegyd am Neuwalde
- Wegstrecke 20,6 km
- höchster Punkt 900 m
- niedrigster Punkt 620 m
- Dauer 4:59 Stunden
- ∅ Geschwindigkeit 4,1 km/h
- ↖︎ 430 m
- ↘︎ 530 m
Tourenprofil
Im Hotel Kaiser Franz Josef erwartet uns ein kaiserliches Frühstück. Wir genießen gut gelaunt die Köstlichkeiten, ausgecheckt hatten wir bereits gestern Abend. Es gibt sogar Mini-Germknödel! Die haben echt ein Herz für ausgelaugte Wanderer, doch ich halte mich zurück und wähle die komplexen Kohlenhydrate, die halten länger an.
Noch rasch ein Foto mit Franzl, dann starten wir los zum Proviant einholen. Heute gibt es unterwegs keine Versorgungsmöglichkeit, daher planen wir entsprechend. Diesmal kaufe ich mir auch ausreichend Wasser als Reserve!
Morgendliche Video-Botschaft
Wider Erwarten bin ich auch heute wieder erholt und gestärkt. Ein Danke von Herzen an meinen wunderbaren Körper! Alleine diese Erfahrung ist hochspannend: du lernst dich selbst von einer ganz neuen Seite kennen.
Frohen Mutes schultern wir gekonnt unsere Rucksäcke und denken gar nicht dran abzubrechen. Landschaftlich erwartet uns eine wunderbare Strecke und vor dem Hintergrund des folgenden Fotos nehmen wir unsere morgendliche Video-Botschaft an die Welt da draussen auf.
Ich habe mich dazu entschlossen unsere Reise im WhatsApp-Status zu veröffentlichen und eine ganze Schar an Followern aus dem Bekannten- und Freundeskreis begleiten uns. Das hat natürlich Vor- und Nachteile: einerseits bekommen wir täglich Motivations- und Aufmunterungsmitteilungen, das ist Balsam für die Seele und hilft dem geschundenen Körper, sich dem Willen zu unterwerfen.. Andererseits mache ich damit auch ein Scheitern öffentlich, falls wir doch noch aufgeben.
„Scheitern“ ist meiner Meinung nach jedoch nicht der richtige Ausdruck. Wir wollen Erfahrungen sammeln für kommende Touren, das war von Beginn an unsere Absicht. Bis hierher zu kommen, muss uns erst mal wer nachmachen, bevor er sich ein Urteil anmaßt.
Tagesverfassung
Doch mir ist klar: die Schwelle der Müdigkeit kommt immer rascher. Meine Tagesverfassung ist am Morgen relativ gut, doch der Zeitpunkt, an dem die schmerzenden Füße respektive Schultern sich in den Vordergrund drängen, kommt immer schneller. Es heißt also möglichst zu Beginn viele Kilometer machen, denn dann werde ich stetig langsamer.
Auch heute ist der Wettergott uns gut gesonnen, ich sind sehr dankbar für die traumhaft sonnigen Tage. Bald wird das Laub beginnen sich einzufärben, stellenweise merkst du es bereits. Der Herbst lässt sich trotz der sommerlichen Temperaturen nicht mehr verleugnen. Wir starten wiederum gegen 8.00 h.
Harmonisches Duo
Es zeigt sich täglich, dass Beatrix und ich sehr gut harmonieren. Das ist bei einer solchen Tour ausgesprochen wichtig. Wir können miteinander lachen, plaudern, schwitzen, weinen, haben absolutes Vertrauen und können über alles reden. Auch konditionell passt es hervorragend und ich bin mir gar nicht mehr so sicher, so eine Wanderung in einer größeren Gruppe machen zu wollen. Große Teile der Strecke können wir auch miteinander schweigen.
Die heutige Etappe ist landschaftlich äußerst reizvoll. Wir gehen über Wiesen und Felder, über Weiden, durch den Wald und schließlich sehr lange Zeit relativ eben über ein Hochplateau. Langsam machen sich meine Zehen wieder bemerkbar. Wir kommen bei einem hoch frequentierten Biker-Gasthaus in der Kalten Kuchl vorbei und nützen die Gelegenheit für einen Boxenstopp.
Gleichzeitig wird mein Herz schwer. Jedesmal, wenn die Motorradfahrer vorbei brausen – und wir bewegen uns in einer beliebten Motorradgegend – sehe ich Alex vor mir. In seiner Ledergarnitur, die noch immer daheim im Schrank hängt, weil ich noch keinen Käufer fand. Ganz bestimmt kannte er diese Strecken ebenso. Ich versuche diese Gedanken ziehen zu lassen.
Aufgeben oder Augen zu und durch?
In Kürze verlassen wir die Straße und begeben uns auf ein Hochplateau. Dort liegen einige Kilometer vor uns, jetzt wäre die letzte Möglichkeit Helmut anzurufen. Nein, Zähne zusammenbeißen – ich breche nicht ab, Augen zu und durch!
Mittlerweile brennt die Sonne stellenweise ordentlich auf die vor uns liegende Schotterstraße und fordert unser Durchhaltevermögen. Es scheint, als ob sich nun auch auf dem linken Fuß eine Blase bildet. Wir beschließen, die Sache zu überprüfen, um rechtzeitig ein Blasenpflaster aufzukleben und verbinden den Stopp gleich mit einer Essenspause auf einem schattigen Baumstamm.
Leider bewahrheitet sich meine Befürchtung: auf der linken Ferse hat sich bereits eine Blase gebildet. Nun bin ich ausgesprochen dankbar für den Tipp, zusätzlich zu den Blasenpflastern auch ein Kinesiotape eingepackt zu haben. Mit diesem kann das Pflaster gut befestigt werden, ohne hält es nämlich gar nicht und ich verschwende ein kostbares Exemplar auf dem Waldboden.
Socken-Favourites
Heute habe ich übrigens meine Lieblingssocken entdeckt. Trail-Socken von Falke, die wirklich durchgehend eng am Fuß anliegen, keine Chance einer Falte. Ich trage sie die restlichen Tage der Wanderung ununterbrochen (nein, sie haben überraschenderweise bis zuletzt nicht gestunken! Möglicherweise liegt es an der Behandlung meiner Füße mit Purification- und Lavendelöl…) Meine absoluten Socken-Favourites!
Sobald wir die Pause beenden und wieder zaghaft versuchen unseren Rhythmus zu finden, fühlen wir uns wie Pinocchio. Nicht, dass wir uns gegenseitig anlügen, obwohl unsere Nasen – naja lassen wir das … (vielleicht sollte ich hier eine kurze Erklärung hinzufügen: sowohl Beatrix als auch ich machten uns anscheinend bei der allgemeinen Nasenvergabe vorlaut und frech bemerkbar und wurden mit einem auffallenden Exemplar belohnt… 😂)
Steif und hölzern staksen wir die ersten Meter durch die Gegend, bis wir – sehr langsam – wieder in die Gänge kommen. Ich finde es ja beruhigend, dass es Beatrix ebenso geht, sonst hätte ich mir echt Gedanken gemacht…
Blasen, immer wieder Blasen…
Ein paar Kilometer später wiederholt sich das Spielchen. Auch Beatrix muss ihre Zehen verkleben, um Ärgeres zu verhindern. Mittlerweile sind wir mehrere Stunden unterwegs, vollkommen verschwitzt, da die Sonne nach wie vor herunterbrennt und spüren unsere mittlerweile müden Knochen und Schultern und Zehen und Fersen und… und … und …
Kaputt und müde folgen wir unserer Wäg-Tussi bergauf, die uns zu einem Haus mit einer wunderschönen Sonnenuhr führt. Doch gleich danach ist der Weg als Privatgrund gekennzeichnet. Durchgehen verboten.
Wir fragen einen vorbeifahrenden Bauern nach dem Weg, doch er antwortet sehr kryptisch. So beschließen wir, uns auf einen Abstecher durch den Wald einzulassen, um nicht die Bergaufstrecke nochmals zurück zu hatschen. Der Weg ist fordernd, führt jedoch auf Anhieb zum Ziel. Ein Hoch auf meinen Scout, kein „klassischer Abstecher“! Gott sei Dank!
St. Aegyd am Neuwalde
Trotz aller Anstrengung schaffen wir es heute, uns zumindest streckenweise während des Gehens zu unterhalten. Nach einer Apfelpause auf einer Bank, die bereits der Gemeinde St. Aegyd zugeordnet ist, schleppen wir uns weiter. Wir haben noch 4-5 Kilometer vor uns, das entspricht meiner „kleinen Walkingrunde“ daheim. Die gehe ich normalerweise in knapp 45 Minuten. Doch hier ist alles anders.
Wiederum drängt sich die Option einer Abholung in meine Gedanken. Meine Glieder schmerzen, von meinen Füßen ganz zu schweigen. Mittlerweile sind wir auf einer asphaltierten Straße angekommen, auf der wir eine recht lange Strecke bergab marschieren. Ich fürchte, dass ich Beatrix mittlerweile echt aufhalte. Gefühlt bewege ich mich nur mehr im Schneckentempo vorwärts, doch schließlich sind wir zumindest einmal beim Ortsschild angelangt.
Quartiersuche
Unser Ziel ist der Gasthof „Zum Niederhaus“ der Familie Perthold. Vom Ortsschild von St. Aegyd bis zum Ortskern ist es doch ein beträchtliches Stück und jeder Schritt fällt mir mittlerweile schwer. Meine Beine sind wie Blei, ich kann sie kaum mehr heben.
Schließlich gelangen wir zum Bahnhof und auf die Hauptstraße des Ortes. Wir marschieren vorbei am Gasthaus „Goldener Hirsch“ sowie am früheren Bahnhofsgebäude. Neben uns plätschert ein kleines Bächlein. Wie schön wäre es doch, hier jetzt die brennenden Füße hinein zu halten und eine Weile zu kneippen!
Beatrix ist mittlerweile so weit vor mir, dass sie mich nicht mehr hören kann. Eine gute Entscheidung, denn so folge ich ihr ganz automatisch. Mein Scout auf Quartiersuche.
Wo ist denn bloß der blöde Gasthof? Vor uns schleicht ein junges Pärchen, das wir bereits am Unterberg-Schutzhaus trafen. Das Mädel hat keine Schuhe mehr an, sondern geht in den Wandersocken. Ich kann sie so gut verstehen!
Endlich gelangen wir zum besagten Schild, das uns zum Gästehaus der Familie Perthold führt. Hier finden wir allerdings keine Rezeption. Schließlich erreichen wir doch noch den Gasthof und freuen uns aufs Einchecken, ein Bad und mittlerweile auch eine Pinkelpause. Die Rezeption ist unbesetzt, doch es liegen jede Menge Schlüssel bereit.
Keine Zimmer im Haus
Kaum kommt die Angestellte, müssen wir zu unserem Schrecken vernehmen, dass es keine Zimmer für uns im Haus gibt. „Doch, doch es gibt Zimmer, es ist alles organisiert!“ Anscheinend schauen wir so fassungslos verzweifelt drein, dass die gute Frau uns sofort beschwichtigt. „Wir haben Sie in der Pension weiter oben untergebracht, alles ist organisiert!“
Welche Pension? Und wie weit oben? Ich kann und will keinen einzigen Schritt mehr machen. Ich. Kann. Einfach. Nicht. Mehr. Ich bin kaputt, ausgelaugt, an meinen Grenzen angekommen. Jedoch, wenn es sein muss: a bissl was geht immer noch – das erwähnte ich bereits bei der letzten Etappe.
So gelangen wir doch noch zum Gästehaus Wallner, einer von einem pensionierten Ehepaar geführten Frühstücks-Pension. Nicht ganz modern, doch sauber und äußerst gepflegt. Endlich können wir uns unseres Rucksackes entledigen und wiederum unter die belebende Dusche klettern. Und dann für eine halbe Stunde die Beine hochlagern – OMG ist das herrlich! Ich will nie wieder aufstehen!
Kulinarische Highlights
Schließlich wollen wir noch etwas essen gehen. Das einzige Lokal, das in St. Aegyd geöffnet hat, ist der „Goldene Hirsch“. So schlurfen wir, wohlweislich in Flip Flops, gefühlt eine ziemliche Strecke wieder zurück (es waren eigentlich nur 10 Minuten) und freuen uns auf kulinarische Highlights zum Abendessen. Die Enttäuschung folgt jedoch sogleich, denn die reichhaltige Speisekarte umfasst genau zwei Gerichte: Frankfurter oder Debreziner.
Wir sind zu geschlaucht um uns aufzuregen, außerdem ändert es nix an den Tatsachen. In der Not frisst der Teufel Fliegen oder wir eben Frankfurter. Dann hinken wir zurück und schlichten vorsichtig unsere Gebeine.
Und morgen?
Bestandsaufnahme wie immer erst am nächsten Morgen beim Frühstück. Diesmal können wir uns mit dem Frühstück Zeit lassen, denn wir haben nur 10,5 km vor uns bis zum „Gschoadwirt“ in Gscheid.
Wir einigen uns auf 7.30 h, damit wir um 8.00 h aufbrechen können. Vielleicht. Hoffentlich. Es wird unsere kürzeste Etappe, um nachmittags Kraft zu tanken für den letzten Tag. Das schaffen wir locker bis Mittag…
Teil 3/7: von Kaumberg nach Rohr im Gebirge – Etappe 2